Vorerst möchte ich präventiv um Entschuldigung bitten, falls ich aufgrund eigener Privilegien das ein oder andere Fettnäpfchen übersehen haben sollte. Bevor ich daraufhin fettige Fußabdrücke überall in meinem Blog verteile, würde ich mich über konstruktives Feedback freuen.
Wenn man mit "neutral" meint, dass man damals noch keinen gesellschaftlichen Widerstand gegen die Verwendung rassistischer Sprache erfahren hat, dann mag das sogar stimmen. Andernfalls... nun, ganz einfache Frage zur Überprüfung der Neutralität des Begriffs: Stand das N-Wort jemals für "gleichwertiger Mitmensch mit dunklerer Hautfarbe"? Wann? Zu Zeiten des Kolonialismus? Als man es aufgrund der vermeintlichen Minderwertigkeit anderer "Rassen" gerechtfertigt hielt, Schwarze als Sklaven zu halten?
Ich glaube, die Verwirrung um die vermeintliche Neutralität geht viel tiefer. Wenn jemand nämlich ganz selbstverständlich sagt, "Und dann hat mich ein Schwarzer angesprochen und nach dem Weg gefragt", hat man sich am Ausgrenzen bereits beteiligt, weil man eine Unterscheidung getroffen hat, die in dem Moment keinerlei Relevanz besaß.
Warum ist die Hautfarbe überhaupt von situationsunabhängiger Relevanz? Warum ist ein Mensch, der etliche Eigenschaft vereint, also... naja, eben ein Mensch ist... überhaupt primär schwarz, braun, asiatisch ("gelb" sagt ja zum Glück kaum mehr wer)?
Hier mal ein Tipp: Barack Obama ist ein dunkelhäutiger Präsident in Kontrast zu der langen Geschichte weißer Präsidentschaft in den USA. Davon ab ist er einfach nur Präsident der vereinigten Staaten. Punkt.
Wenn ich sprachliche Unterschiede mache, die gerade überhaupt keine Relevanz haben, dann mache ich den Unterschied seiner selbst willen. Ich grenze ab. Abgrenzung + white privilege (Link enthält eine Checkliste) = Konservierung von Rassismus. So schnell geht das. Denn durch die Abgrenzung halten wir die Unterscheidung am Leben, die Rassisten brauchen, um aus einem Unterschied eine Wertung zu konstruieren.
Das bedeutet nicht, dass es keinen Unterschied zwischen dunkler und heller Haut gäbe. (Das wäre ja auch eine lächerliche Behauptung.) Aber es gibt unzählige Unterschiede zwischen Menschen und die meisten davon machen aber keinen Unterschied und wir machen aus ihnen keinen Unterschied. Wie Schuhgröße. Oder Augenfarbe. Oder ob die Haare glatt oder gewellt sind. Ob die Stimme tief oder hell ist.
Ich will damit Minderheiten nicht ihr Recht auf eine eigene Identität absprechen - wenn Unterscheidungen schon vorherrschen, ist es vermutlich essenziell für die betroffenen Minderheiten, sich durch eine eigene Identität von den Fremdzuschreibungen der Privilegierten zu emanzipieren.
Natürlich gibt es außerdem statistische Unterschiede aufgrund der gemeinsamen Abstammung innerhalb der Gruppen. Wie z.B. die Laktosetoleranz, die vorwiegend auf der nördlichen Halbkugel anzutreffen ist. Aber nun sind solche Unterschiede ja doch im Alltag vollkommen irrelevant und treffen auch nicht auf jedes Mitglied einer definierten Gruppe zu.
Es gibt auch analoge Beispiele aus nicht-rassistischen Kontexten. "Blondinen" zum Beispiel.
Auch hier haben wir ein oberflächliches Merkmal, dessen Bedeutung überhöht wird, indem es zum Sammelbegriff für Menschen erhoben wird. Und auch hier wirkt die Unterscheidung gleich als Ansatzpunkt von Abwertung, wie Blondinenwitze zeigen. Und auch hier wirken diese Vorurteile auf die Betroffenen, wie dieses Experiment gezeigt hat.
Blondinen werden dadurch aber nicht zu "Fremden" gemacht, sie genießen also auch white privilege. Sie sind punktuell diskriminiert, wo sie mit ihrem Klischee konfrontiert werden, aber sie sind nicht "die Anderen", sie sind nur eine andere Spielart von "uns".
Letztendlich liegt das Problem beim Rassismus genau bei diesem "Wir".
Warum ist ein in Deutschland sozialisierter dunkelhäutiger Mensch mir "fremder" als ein hellhäutiger? Oder gar als ein hellhäutiger Franzose? Ganz klar: Ist er/sie nicht.
Es ist ein essenzialistisches Denken, in dem Menschen aufgrund oberflächlicher Merkmale in "Abstammungslinien" eingeordnet werden und woraus ein "wir" und mehrere "ihr" ersponnen werden. Es wird also eine Essenz von Rasse konstruiert . Und danach unterschieden. So viel zur Frage ob das N-Wort rassistisch sei.
Ich weiß nicht, ob ich damit zu einer Minderheit gehöre, aber ich weiß noch, wie ich damals die "Negerlein" in Kinderbüchern erlebt habe:
Weiße Kinder hatten Namen, eine Familie, Hobbies und waren Helden ihrer eigenen Geschichte. "Negerlein", das war eine Gruppe passiver Figürchen, mit denen etwas passierte, die aber selten aktiv ihr Leben gestaltet haben.
Ich habe diese Unterscheidung verstanden. Ich habe nicht verstanden, warum sie gemacht wurde, warum nur weiße Kinder eigene Geschichten hatten, aber dass dem so war, das habe ich erkannt.
Und über zwei Jahrzehnte später muss ich immer noch unbewusste Unterscheidungen aufarbeiten, die mir als Mittel der Erzählung meiner eigenen Geschichte quasi in die Wiege gelegt worden sind.
Das würde ich Kindern, wenn ich welche hätte, nicht aufbürden wollen.
Und wie tief diese frühkindlichen Erlebnisse erst bei direkt Betroffenen gehen müssen, kann ich selbst noch nicht einmal ermessen.
Die Frage ist nun: Wollen wir weiterhin an unserem weißen Privileg festhalten, Anderen unsere Gruppenzuschreibungen überzustülpen um diese dann mit den Konsequenzen leben zu lassen? Haben wir das Recht dazu, die Deutungshoheit über Gruppen von Menschen an uns zu reißen, auch wenn wir dadurch ihre Chancen im Leben beeinflussen?
Pfui, ihr N-Wort-Beschützer! Dass euch ein Wort, das euch selbst nicht betrifft wichtiger ist, als die Konsequenzen für die, die es betrifft! Heuchler!
P.s.: Und nein, das Umwerten eines negativ behafteten Wortes zu etwas Neutralem oder gar Positivem ist nicht Sache der Privilegierten! Wenn ihr Minderheiten neutral ansprechen wollt, dann fragt die Minderheiten, wie sie angesprochen werden möchten!
Weil meine Sicht als "Weiße" nicht frei von Privilegien ist, hier zwei Link-Tipps: