Sonntag, 27. Januar 2013

#Aufschrei und Elevatorgate

Im Sommer 2011 stand die skeptische Internet-Community in Flammen. Eine berühmte Bloggerin (Rebecca Watson) hatte eine "creepige" Grenzüberschreitung seitens eines Mannes thematisiert und - wie konnte sie nur? - kommentiert. Hintergrund war, dass ihr jemand auf einer Skeptiker-Konferenz spät nachts in den Aufzug gefolgt ist, um sie dort anzugraben. "Guys, don't do that!" sagte sie.
Daraufhin brach ein Shitstorm über sie und feministische Skeptikerinnen ein. Der Vorfall wurde von vielen Männern herunter gespielt, die unter Frauen weit verbreiteten Vorbehalte gegen fremde Männer, die einem in geschlossene Räume folgen, als irrational dargestellt und allein die Thematisierung solcher Erlebnisse wurde aggressiv attackiert - einige Bloggerinnen erhielten sogar Vergewaltigungsdrohungen.

Damals fehlte es an Verständnis dafür, was Rebecca Watsons Perspektive geprägt hat. Und ehrlich gesagt, ist auch mir erst in den letzten Tagen einiges darüber klarer geworden.
Der #Aufschrei,, nämlich, der aktuell durch Twitter geht, könnte ein Bindeglied zwischen dem "Elevatorgate" und dem vielfach geleugneten Alltagssexismus darstellen, denn der #Aufschrei zeigt - nicht nur Männern - woher genau die "weibliche" Angst vor (manchen) Männern stammt.
War zuvor "Schrödingers Vergewaltiger" ein Begriff, der die skeptische Community erst recht spaltete, wird dieser mit dem Hintergrund der #Aufschrei-Anekdoten vielleicht verständlicher.
Nein, nicht alle Männer sind "potenzielle Vergewaltiger", aber Vergewaltigungen existieren nicht im Vakuum. Die Entscheidung, ob einem Konsens wichtig ist, fällt nämlich schon viel früher: Wenn man einer Frau auf den Busen starrt (nicht "guckt"), wenn man Frauen unverschämt angräbt und sie anschließend für abweisendes Verhalten mit Beleidigungen versieht, wenn man Frauen begrabscht, ihnen folgt, kurz: Wenn man ihr Einverständnis für irrelevant hält.
Zum Glück wird nur eine Minderheit von Frauen tatsächlich Opfer von sexueller Gewalt (aber noch immer erschreckend viele). Aber was so ziemlich jede Frau mehr oder weniger alltäglich erlebt, ist eine weit verbreitete Grundhaltung, subtile sexuelle Macht über Frauen sei salonfähig. Und es ist irrelevant, ob wir uns dabei unwohl oder gar unsicher fühlen.
An dieser Stelle wird aber der Konsens verletzt. Und ist er erst einmal verletzt, dann wird der Mann für uns zu "Schrödingers Vergewaltiger" - wir wissen nicht, wo und ob er eine Grenze hat, ab der er ein "Nein" akzeptiert.
Jemand, der einem in den Aufzug folgt, verhindert, dass man sich ihm entziehen kann. Das war die Grenzüberschreitung des Elevator Guys, von dem Rebecca Watson berichtete. An der Stelle wurde ihre Verhaltensauswahl gezielt eingeschränkt, um die eigenen Interessen verfolgen zu können.

#Aufschrei zeigt aber noch mehr. Gerade die Männer, die #Aufschei attackieren bestätigen, wie nötig dieser ist. Besonders zynisch sind Äußerungen, Frauen sollten sich lieber wehren, anstatt einen #Aufschrei zu veranstalten.
Ja, wie viel Rückhalt hat wohl eine Frau in einer Gesellschaft, in der sexuelle Übergriffe noch nicht einmal angesprochen werden sollen? Wird sie unterstützt werden, wenn ihre offensive Art erst recht Konsequenzen nach sich zieht?
Wer nichts von sexuellen Übergriffen hören will, will es auch nicht sehen und wird erst recht nicht helfen.
Und dass uns vermutlich niemand helfen würde, haben "wir"schon unser ganzes Leben lang signalisiert bekommen. Wenn Vergewaltigungswitze akzeptiert werden, wenn übergriffige Männer in Schutz genommen werden, weil sie der Bro von irgend jemandem sind oder wenn wir, wenn wir sexuelle Übergriffe denn mal thematisieren, gefragt werden, was wir getragen, wie wir uns verhalten und wo wir uns aufgehalten haben. Man signalisiert Frauen ihr ganzes Leben lang, dass sie für ihre Sicherheit selbst zu sorgen haben, weil im Zweifelsfall der Täter mehr Rückhalt erfahren wird als das Opfer. Und thematisieren Frauen solche Zustände mal, werden sie nicht selten übelst bedroht.
"Wehrt euch einfach" ist daher purer Hohn. Denn wer an einer echten Lösung interessiert ist, ist auch am Problem interessiert und bemüht sich nicht darum, es wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen. Zumal sich frau nicht richtig verhalten kann. Man weiß nämlich nicht, ob sich jemand, der sexuelle Macht ausüben möchte, von dem kurzen Rock oder einem langen Rock provoziert fühlt - denn es geht ihm ja eben nicht darum, ob sie sich ihm sexuell verfügbar zeigt. Man weiß in ähnlicher Weise auch nicht, ob sich ein Mann von defensivem oder offensivem Verhalten provoziert fühlt.

Es gibt nur drei Möglichkeiten für uns als Gesellschaft: Entweder, wir halten an unserer Rape Culture mit Victim Blaming (dazu gehört auch "wehrt euch doch!"), die nur die Täter schützt, fest oder wir ändern etwas. Entweder indem Männer Frauen in diesen Belangen endlich zuhören, die Probleme erkennen und sexuelle Übergriffe endlich ernst nehmen, oder indem Frauen sich tatsächlich "wehren". Dann aber werden sie sich auch gegen alle "Wehrt euch doch"- und "Stellt euch nicht so an!"-Typen wehren.

Ich würde die zweite Lösung vorziehen. Zumal auch viele Männer darunter leiden, dass Sexisten eine so große Macht über weibliches Verhalten haben dürfen: Welcher (nicht-sexistische) Mann möchte denn schon, dass Frauen nachts Angst vor ihm bekommen, wenn diese allein unterwegs sind. Welcher Mann  ist nicht davon betroffen, dass Frauen sich kaum trauen, fremde Männer anzulächeln? Haben sich nicht schon genug Männer darüber gestört, dass sie eine unbekannte Frau nur schwer "einfach so" (auf ein Buch, das sie liest oder ein Shirt, das sie trägt, z.B.) ansprechen können, weil sie nicht wie einer von "denen" wirken möchten?
Es sind nicht die vielen Frauen, die durch den #Aufschrei das Verhältnis der Geschlechter verkomplizieren, es sind die Creeps, die das Problem sind.

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