Sonntag, 23. Dezember 2012

innerer Monolog


Innerer Monolog


Hallo? Entschuldigung? Ich möcht' ja nicht stören
Aber es wäre nett, würde ich mir kurz zuhören.

Das Jahresende ist so furchtbar sentimental.
Man stellt sich gar komische Fragen
Ist das Leben ein bloßes Phänomen oder ist es phänomenal?
Und habe ich einen freien Willen, habe ich hier das Sagen?

Nein, fatalistisch sollte man nicht werden
Nur weil Lebensplanung so weit entfernt vom Leben ist
Sonst liegen die Träume schon in Scherben
Noch bevor man eine Entscheidung zu ihren Gunsten trifft.

Und lebst du in der Zukunft, so lebst du nicht.
Aufgeschobenes wird keinem Konto gutgeschrieben.
Auch der schönste Diamant braucht zum Funkeln Licht
Drum lerne, dich schon jetzt zu lieben.

Warte nicht darauf, jemand anders zu werden
Niemand hat deine Träume mehr verdient als du
Du verbleibst nicht bis in alle Ewigkeit auf Erden
Drum verschiebe deine Träume nicht immerzu.

Warum pflegst du deine Ängste anstatt dich ihnen zu stellen?
Gepflegte Ängste sehen auch nicht besser aus.
Natürlich wirft die Konfrontation mit ihnen Wellen
Doch sie zu behalten ist der längerfristige Graus.

Warum ängstigt dich die Unsicherheit?
Nicht in der Route deiner Reise liegt das Glück
Sondern in ihrer Bewältigung, ihrer Erlebbarkeit.
Drum schaue auch nie bedauernd zurück.

Mittwoch, 28. November 2012

Ein Monat Veganköstler - eine Bilanz.

Ein Fazit werde ich direkt an den Anfang stellen: Vier Wochen reichen nicht aus, um den Veganismus völlig zu begreifen. Einen Teil meiner ambivalenten Gefühle bin ich z.B. noch immer nicht los geworden. Das liegt daran, dass ich von Natur aus kein radikaler Mensch bin und mich entsprechend auch nicht als radikal begreifen möchte. Hier hilft immer wieder, die subjektive Radikalität in Relation zu einem Bezugspunkt zu setzen. Nach welchem Maß bin ich denn "extrem"? Nach dem Maß einer Gesellschaft, für die der Konsum tierlicher Produkte derart normal geworden ist, dass Massentierhaltung möglich und nötig geworden ist. Nicht ich sollte extrem sein - Schlachtungen im 2-Sekunden-Takt sollten extrem sein! Nicht der Verzicht auf Eier sollte extrem sein, die Haltungsbedingungen von Legehennen sollte extrem sein! Oder eine Antibiotikabelastung von 98% in Masthühnern. Oder... Ach, informiert euch doch selbst! ;-)
Ich bin radikal gemessen an einer untragbaren Normalität.
Hingegen fühlt sich mein Konsumverhalten subjektiv gar nicht so extrem an: Auf meinem Teller landet eine leckere Vielfalt. "Vegan" klingt viel spezieller, als es ist. Letztendlich hat man doch etwas konkretes, essbares und zufrieden stellendes zu essen. Man muss vielleicht auch bedenken, dass Milch in vielen Teilen der Erde nicht auf den Speiseplan gehört und dass eine vegetarische Ernährung dort schon automatisch viele vegane Speisen bedingt. Veganismus ist also nicht viel anders als Vegetarismus in Milch-freien Landesküchen.
Milch, Eier, Fleisch sind in erster Linie Zutaten, mit denen man bestimmte Zubereitungsarten realisieren kann. Deswegen sind Ersatzprodukte auch so beliebt. Man will keine Sahne mehr, aber man will cremige Saucen oder fluffige Torten. Man will keine Eier mehr, aber ein Bindemittel, etwas zum Aufschlagen oder etwas zum anbraten. Man möchte kein Fleisch mehr, aber etwas, das sich in der Pfanne anders verhält als Gemüse.
Natürlich schmeckt es anders (manchmal aber auch täuschend ähnlich). Deswegen muss man schon bereit sein, mit Gewohnheiten zu brechen, immerhin wird manches nie wieder so wie aus Kindertagen schmecken - und das hat schon eine starke emotionale Komponente.
Was mich überrascht ist, dass ich Käse bisher wenig vermisse. Käse ist vermutlich das am meisten vermisste Produkt unter Veganern - zumindest sind Käse-Alternativen ein großes Thema in Blogs. Da bei der Verdauung von Milchprodukten Casomorphine entstehen, wird sogar von mancher Seite eine echte Abhängigkeit von Käse diskutiert. (Anmerkung: Die Skepsis der Bloggerin ist auch nach diesem Paper zu urteilen, angebracht.) Ich nehme an, es sind in erster Linie die Schmelzeigenschaften, die Käse beinahe unersetzbar machen.

Radikal bin ich also nur in dem Sinne, dass ich eine "extreme Normalität" ablehne. Dadurch bin ich als soziales Wesen radikal. Man stößt sich an mir. Und ich bin nicht gerne die Person, an der man sich stößt.

Eine weitere Quelle ambivalenter Gefühle sind auch noch immer die ethischen Grundlagen. Es ist nicht schwer, gegen Massentierhaltung zu sein und ein konsequenter Boykott fühlt sich für mich auch uneingeschränkt gut an. Es fühlt sich sogar so gut an, dass kaum Neid aufkommt, wenn ich unvegane Speisen auf anderen Tellern sehe. Ich weiß aber noch nicht genau, wie ich zu Tierrechten stehe, bzw. dem Verständnis von Rechten im Allgemeinen, welches dahinter steht: Sind damit unveräußerliche Rechte gemeint, wie die Menschenrechte? Das würde ich für bedenklich halten. Gut, sagen wir, Tierrechte regeln nur das Verhalten von Menschen gegenüber Tieren, so wie Menschenrechte in Einzelfällen - bei Säuglingen oder geistig schwer behinderten Menschen etwa - ebenfalls nur in eine Richtung funktionieren können. Das kann ich mir in unserer Gesellschaft sogar vorstellen. Aber in manchen Ländern fungiert die kleine Herde Nutztiere als Nahrungsspeicher und ermöglicht außerdem, aus unverdaulicher Vegetation nahrhaftes Fleisch werden zu lassen. Zu keinem Zeitpunkt wäre das Töten eines solchen Nutztieres (oder schon dessen Haltung) ein Akt der "Notwehr", lebensnotwendig kann es aber trotzdem sein. Und natürlich bin ich so weit "Speziesist", dass ich einem Menschen nicht die Lebensgrundlage entziehen würde.
Veräußerliche Tierrechte hingegen sind mir zu verwässert um damit etwas anfangen zu können. Warum überhaupt Tieren Rechte zusprechen anstatt zwischen Menschen festzulegen, dass die Produktion von Leid unethisch ist? Egal wer leidet. Basta.
Viele Tierrechtler scheinen mir genau das zu meinen und mögen diese Definitions-Krampferei von mir lächerlich finden. Mir ist aber durchaus wichtig, dass Rechte konsistent begründet werden können, damit ihr Anspruch absolut bleiben kann und keinem Werterelativismus Tür und Tor geöffnet wird.
Zudem weiß ich nicht, wie ich mich bezüglich Tierversuchen positionieren möchte. Dass Tierversuche unnötig sind ist, so viel weiß ich, einfach nicht wahr, so sehr ich Alternativen auch unterstütze und so fehlerbehaftet sie auch zum Teil sein mögen. Ironischer Weise kommen viele Informationen, die Tierrechten zuspielen, aus Tierversuchen, z.B. aus der Neurobiologie, die in den letzten Jahrzehnten mit dafür verantwortlich war,dass  die enormen kognitiven Leistungen vieler Tiere endlich anerkannt und gewürdigt werden.
Tierversuche sind auch ein plakatives Beispiel für einen weiteren Unterschied zwischen Ethik, die zwischenmenschliches Verhalten regelt und Tierethik: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ (Kant)
Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Einen gesunden Menschen zu töten, um seine Organe zur Rettung von fünf Kranken einzusetzen, ist unethisch. Das ist es deswegen, weil zwischenmenschliche Ethik nun einmal das Miteinander regelt und wir haben ein starkes Interesse daran, in einer Gesellschaft zu leben, in der wir kein willkürliches Opfer für eben diese werden können.
Weiten wir Ethik auf Geschöpfe aus, die nicht Teil der Gesellschaft sind, gilt diese Regel nicht mehr uneingeschränkt: Das Töten von eingeschleppten Ratten zum Schutz ganzer Arten (zum Beispiel der Galapagos-Riesenschildkröte) mag, wenn man Arterhaltung konsequent unterstützt, geboten erscheinen und wenn medizinische Forschung an Tieren tatsächlich eine entsprechend große Beseitigung von Leid ermöglicht (an Mensch wie an Haus-/Nutztier), mag auch das ethisch begründbar sein.

An solchen Knackpunkten fällt es mir schwer, mich eindeutig zu positionieren. Bisher tendiere ich dazu, Tierethik pragmatischer zu sehen als zwischenmenschliche Ethik. Menschenrechte sind hingegen unveräußerlich. Das ist womöglich der viel beschworene Unterschied zwischen ethischen Subjekten und ethischen Objekten.

Diesen kritischen Gedanken zum Trotz wird es beim "veganen Kösteln" nicht bleiben: Leder wird nicht mehr nachgekauft, ebenso - wenn möglich - unvegane Kosmetik- und Hygieneprodukte.
Wohin mich das wohl führen wird? Zum speziesistischen Veganismus? Oder vielleicht doch zum Vegetarismus ohne Ovo-Lacto-Zusatz (dieser verdammte Bienenwachs aber auch!)? Muss ich mir überhaupt ein Label verdienen, wenn ich ja doch nur vor mir selbst Rechenschaft ablegen muss?
Es wird manchmal gesagt, Veganismus sei die Antwort auf viele Probleme (Klima, globales Verteilungsproblem, Massentierhaltung...). Das stimmt m.E. so nicht. Wenn ein Schwamm nachhaltig geerntet wird, ist das m.E. in keinster Weise schlimmer als Blumen pflücken, aber es ist unvegan.
Daher mein zweites Fazit: Label sind nicht wichtig, Werte sind wichtig. Konsequenzen sind wichtig.

Dienstag, 27. November 2012

Feminismus

Es ist schwierig einen Anfang für diesen Blogeintrag zu finden, zumal er eine Einleitung zu einem großen Thema darstellen soll.

Als heterosexuelle cis-Frau, die lange Zeit die freundschaftliche Gunst von Männern suchte um sich selbst zu beweisen, "außerhalb" der Rollenklischees zu stehen und die dadurch versuchte, sich selbst vom "Femininen" abzugrenzen, ist ein Bekenntnis zum Feminismus sicherlich auch gleichzeitig ein Eingeständnis. Ein Eingeständnis, Teil des Problems (gewesen) zu sein.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen misogyn werden. Und das sollte uns zu denken geben. Wie kommt es, dass sich vermeintlich gleichberechtigte Frauen so verhalten als ob sie einem niederen sozialen Stand durch Mimikry eines höheren zu entkommen versuchten?

Die Wahrheit ist, dass "Weiblichkeit" (sowohl eine weibliche Physiologie als auch das gesellschaftliche Konstrukt) ein niederer sozialer Stand ist. "Du Mädchen!" ist halt noch immer eine Abwertung, die unter Männern ausgesprochen wird - teilweise aber auch unter Frauen - und während Frauen Ansehen durch "männliches" Auftreten erlangen können, können Männer durch "weibliche" Verhaltensweisen im Ansehen nur sinken. In diesem Sinne wirkt "Weiblichkeit" wie ein restringierter Sprachgebrauch: Es wirkt als Signal, um jemanden in eine Schublade zu stecken: Nicht "alpha".

Aber was ist dieses "Weibliche" überhaupt?
Ich weiß es nicht und bin bereit jedem, der meint, "Männer und Frauen seien nun einmal verschieden" über den Mund zu fahren. Und zwar aus folgendem Grund: Wir leben in einer Gesellschaft, die erst kürzlich für sich entdeckt hat, dass der nicht-männliche Teil der Bevölkerung vielleicht doch wie normale Menschen behandelt werden sollte und die entsprechend historisch, philosophisch, politisch, kulturell (usw.) vorwiegend von Männern geprägt wurde. "Männer und Frauen sind nun einmal verschieden" bedeutet daher "Frauen sind anders", denn das "Männliche" bildet schließlich über unsere gesellschaftlichen Wurzeln noch immer den Großteil unseres soziologischen Hintergrunds.
Sind Männer und Frauen verschieden? Ja, offensichtlich. Aber nicht "nun einmal", also nicht als Denk-Stopp. Mann/Frau ist schlichtweg kein einfacher Dualismus, sondern wahrscheinlich ein essenzialistisches Konstrukt zweier Idealtypen, die in einem mehrdimensionalen Koordinatensystem angesiedelt sind. Ich mag einige Überschneidungen mit dem Konstrukt "Frau" haben, aber nirgends auf dieser Welt läuft sie wahrhaftig rum - die Essenz des Weiblichen.

Ich weiß, was mir als weiblich verkauft wird: Ein Punkt, der, ganz egal, wo ich stehe, niemals der ist, an dem ich in mir selbst ruhen kann. Frauen müssen sich beduften, anmalen, vorteilhaft kleiden, ihre Haare bändigen. Sie werden (direkt oder indirekt) dazu angehalten, wenig Raum einzunehmen, nicht mehr zu nehmen, als sie geben und auf die Gefühle anderer stärker Rücksicht zu nehmen als auf ihre eigenen.
Als Frau kannst du an keinem Punkt verweilen und einfach Frau sein. Denn der Punkt, den man dir als Weiblichkeit verkauft, ist immer neben dir, niemals dort, wo du dich befindest. Weiblichkeit ist eine Anstrengung, ein Aufwand, eine Tätigkeit. Das implizierte Versprechen ist, trotz deiner weiblichen Physiologie akzeptiert zu werden, wenn du beständige Anstrengungen signalisierst.

In einer Internetdiskussion war ich erstaunt darüber, dass ich mit der Frage, wie zufrieden die User des Forums mit ihrem Geschlecht/Gender seien, von Männern fast nur irritierte Reaktionen erntete. Frauen wussten mit der Frage hingegen etwas anzufangen. Es hat lange gedauert, bis ich diesen Umstand richtig deuten konnte: Männlichkeit ist die Normalität. Frauen haben sich zwischen Normalität und Weiblichkeit zu platzieren und spüren diese Gratwanderung mit aller Deutlichkeit. Das ist auch der Grund, warum Gender-Forschung die meisten Männer nicht zu interessieren scheint - wenn sie sie nicht gerade völlig ablehnen.

Keinen Ruhepunkt zu haben, an dem man einfach "Frau" oder besser gesagt "Mensch mit weiblich verstandenem Erscheinungsbild" sein darf, das Streben hin zum "Neutralen" - dem "Männlichen" - all das scheint mir deutlich zu zeigen, warum Feminismus auch heute noch wichtig ist: Nachdem Frauen formale Gleichberechtigung erfahren haben, sind sie noch immer "die Anderen", die nun in sämtliche Bereiche der Gesellschaft "vordringen" (das Wort wird in dem Zusammenhang ja gern in den Medien verwendet). Und wie die "Anderen" werden sie auch behandelt. Es sind diffusere Probleme als es die diskriminierenden Gesetze vergangener Tage waren. Es geht um die Konservierung männlicher Interessen als die Norm, um die Abwertung der Weiblichkeit, um Rape Culture, Male Gaze, den Bechdel Test, um Lego und Ü-Eier für Mädchen und andere Brandherde, die Symptom und Ursache zugleich sind.
Gleichzeitig sind diese Phänomene Hintergrund unserer eigenen Entwicklung, so dass wir sie erst einmal nicht unbedingt als Baustellen wahrnehmen, vielleicht sogar als natürlich verstehen. Aber nein, ich will nicht das "Andere" in den Augen eines Mannes sein und ich will auf die Frage nach meiner Geschlechtsidentität auch mit unvoreingenommener Irritation reagieren können. Ich bin doch einfach ich.... oder?

Aus all diesen Gründen verstehe ich mich als Feministin. Und daher möchte ich mich bei meinen Geschlechtsgenossinnen entschuldigen: Es tut mir leid, dass ich voreingenommen war gegenüber "Tussis", also Frauen und Mädchen, die ihre Lösung des Konflikts "Norm/Weiblichkeit" anders verortet haben als ich. Es tut mir leid, dass ich glaubte, mich als "Kumpeltyp" von Männern profilieren zu können. Ich muss nicht anders als die anderen Frauen sein. Es reicht, Frau zu sein.


Edit: Formulierungen verändert, um Transfrauen nicht auszuschließen

Donnerstag, 22. November 2012

Fat Shaming

Wir leben in einer "Leistungsgesellschaft". Das bedeutet zwar noch lange nicht, dass Leistung angemessen entlohnt wird, es bedeutet aber durchaus, dass man Menschen für ihr Schicksal verantwortlich machen darf. Insbesondere, wenn es um ihren Körper geht. Das gehört doch schließlich zur Eigenverantwortung, richtig?

Gesundheit und Aussehen sind sicherlich ein Kapital und eins, um das man sich kümmern kann, vielleicht sogar sollte - im eigenen Interesse.
Eine völlig andere Sache ist es jedoch, diesen Anspruch an sich selbst auf andere zu projizieren. Zwar funktionieren unsere Krankenkassen nach dem Solidaritätsprinzip, der ganz private Kampf um und gegen den eigenen Körper solidarisiert sich dadurch aber nicht. Und die Kosten dieses Kampfs sind sehr unterschiedlich verteilt.
Mit Kosten meine ich in diesem Zusammenhang den Energie- und/oder Kostenaufwand zur Überwindung der Hürden, die uns daran hindern, dem fitten, gesunden und gut aussehendem Ideal zu entsprechen. Und vielfältig sind diese auch: Genetische Prädispositionen, Gewohnheiten, das soziale Umfeld, Stress, Zeitmanagement, Unwissenheit, die persönliche Motivierbarkeit, Verdrängungsmechanismen, Durchhaltevermögen, finanzielle Möglichkeiten...

Es sollte an sich ganz einfach sein: Man kennt nur die eigenen Kosten für ein gesundes Leben und für die Pflege der Eitelkeit. Man kennt nicht die Kosten der anderen. Ein "Wenn ich es kann" bedeutet nicht "kannst du es auch".
Zumal der subjektive Wert, der den Kosten gegenüber steht, ebenfalls individuell ist.

Trotzdem sind adipöse Menschen starker Diskriminierung ausgesetzt. Sie werden weniger zu Bewerbungsgesprächen geladen, man traut ihnen weniger (auch geistig) zu, man macht sich über sie lustig und beleidigt sie und hält sie für ein Problem, das es zu lösen gilt.
Für Betroffene kommt erschwerend hinzu, dass unsere Körper gewissermaßen öffentlich sind: Wir bewegen uns mit ihnen durch den öffentlichen Raum. Im Gegensatz zu Charakterschwächen, die - und seien sie noch so groß - unsichtbar sind, sind unsere Körper für jeden offensichtlich. Also selbst, wenn niemand Fettleibigkeit stärker verachtet als eine sadistische Ader (zum Beispiel gegen Tiere), wird dem Fettleibigen aber insgesamt mehr Verachtung entgegen schlagen.
Gleichzeitig werden Diäten beworben und vermeintliche Erfolge werden zelebriert. Es entsteht eine Erwartungshaltung, als Adipöser es wenigstens zu "versuchen".

"Versuchen" bedeutet in diesem Zusammenhang: Verzichte auf einen wichtigen Teil deiner Lebensqualität, geißel dich, ganz egal, wie hoch deine persönlichen Kosten auch sein mögen. Und wenn es nicht funktioniert, landest du nicht etwa beim Ursprungsgewicht, sondern bei einem neuen, höheren. Das sind dann wohl die "Zinsen" der Kosten, die du nicht zahlen konntest, die dir aber nichts desto trotz aufgezwungen wurden.

Das Gemeine an dem Zwang, der auf Adipöse ausgeübt wird ist, dass er zu Scham führt. Scham aufgrund des Scheiterns an einer Aufgabe, dessen Schwierigkeitsgrad völlig unbekannt ist.

Adipöse sind keine Sünder und Diäten sind keine Ablassbriefe.

Das Pflegen unseres Kapitals kann nur eins bedeuten: Pflege den Körper, den du hast, anstatt zu versuchen, ihn zu etwas umzuformen, das er (aktuell) nicht ist.
Und sollte Gesundheit die größere Sorge sein: Ein genährter Adipöser ist gesünder als ein herunter gehungerter!  Gesunde (oder gesündere) Ernährung ist zwar möglich, sie hat aber mit Diäten nichts zu tun.

Wir sollten den Mut zur Vielfalt haben anstatt in Gehässigkeiten zu verfallen, weil optische Abweichungen öffentlicher sind als charakterliche.

Montag, 19. November 2012

Tiere lieben, Tiere essen


Puck war eine türkis farbene Wellensittich-Dame mit zitronengelbem Köpfchen. Ich sympathisierte sehr mit ihr, da sie nie ganz in den Schwarm hinein passte, aber dennoch auf eine fast anmutige Weise das Leben genoss. Die Nacht, bevor sie starb, verbrachte sie bereits in einem Einzelkäfig, um von den anderen nicht gestresst zu werden. Irgend wann, mitten in der Nacht, verschlechterte sich ihr Zustand deutlich und sie fiel laut krakehlend zu Boden. Ich werde dieses Schreien vermutlich niemals vergessen können - genau so wenig wie meine Mutter. Vor Schmerzen schreiende Tiere klingen unheimlich "menschlich", selbst, wenn sie mit uns so entfernt verwandt sind, wie Vögel.

Die Frage, was Leid ist, ist schwierig zu beantworten und wird noch einmal deutlich unhandlicher, wenn man sie in Bezug auf nichtmenschliche Tiere stellt. Empfindungen sind subjektiv - ich weiß nur von meinen mit Sicherheit, dass sie bewusst wahrgenommen werden. Es wäre aber irrational anzunehmen, dass ich das einzige bewusste Lebewesen bin.
Darüber hinaus bin ich jedoch chronisch überfragt. Entstand Bewusstsein graduell und findet sich in etlichen Stufen und Abwandlungen noch heute im Tierreich oder kam Bewusstsein plötzlich hinzu, rekrutierte bereits vorhandene Fähigkeiten und findet sich daher nur in einer sehr berenzten Zahl von Tieren? Könnte Bewusstsein sogar ein rein kulturelles Artefakt einer Subjekt-zentrierten Erziehung sein?

Ich weiß es nicht.Ich wusste es auch damals nicht. Aber ich kannte Puck mit ihren Eigenarten. Ihre Persönlichkeit war für mich so real wie die einer Freundin - auch wenn ich aus Respekt vor den Tieren, die ich ungefragt zu meinen Haustieren gemacht habe, nicht von Freunden spreche (Freundschaften erzwingt man nunmalhalt nicht). Und aus diesem Grund spielte es auch einfach keine Rolle, ob ich eine ausgereifte philosophische Position zur Bewusstseinsfrage hatte oder nicht: Wenn dieser Schrei für bewusst empfundene Schmerzen stand, dann waren diese Schmerzen groß und genau das war es was mir selbst so weh tat.

Obwohl ich also nicht mit Sicherheit sagen kann, wie leidensfähig meine tierischen Mitbewohner sind, gehe ich im konkreten Fall davon aus, dass ihr Leid nicht weniger wiegt, als meins.

Ich habe diese Intuition jedoch lange Zeit als Sentimentalität abgetan, da ich es nicht als ethisches Empfinden verstehen wollte. Ich wusste nämlich um die Gefahr der Einsicht, dass ich, wenn ich mein Verhalten gegenüber den mir nahen Tieren als "ethisch" anerkennen würde, mein Verhalten gegenüber mir unbekannten Tieren automatisch als unethisch bezeichnen müsste.

Dann nämlich, wenn es mal wieder Fleisch gab. Oder Eier. Oder Milchprodukte.

Schaut man sich die Bedingungen der modernen Nutztierhaltung an, dann wird einem klar, dass wir hier, selbst, wenn wir von rein körperlichem Leid sprechen, unsagbar viel Leid gegen unsere Konsumgewohnheiten abzuwägen haben. Da die meisten unserer Nutztiere jedoch soziale und intelligente Tiere sind, kommt zum Unsagbaren noch einiges Unvorstellbares. Ich zumindest kann mir jedenfalls nicht vorstellen, wie es ist, als soziales Wesen zum Kannibalen zu werden, weil die eigene Existenz eine heran gezüchtete Verhaltensstörung ist.

Wir essen viel Fleisch, viele Milchprodukte, viele Eier und wir sind viele. Das macht unzählige Individuen, die wir unseren kulinarischen "Bedürfnissen" unterordnen und denen wir im Zuge dessen ihre basalsten Bedürfnisse absprechen.
Aber wir essen sie von Kindheit an. Wir aßen sie mit kindlicher Unschuld und haben uns nie selbst für diese Essenskultur entschieden. Sie hat sich uns aufgedrängt. Und sie im Nachhinein infrage zu stellen bedeutet, nicht nur sich selbst zu verurteilen, sondern auch unsere sozialen und kulturellen Wurzeln. Somit verharren wir gern in unseren Gewohnheiten.

Gewohnheiten sind nicht böse, aber sie sind ignorant und je mehr es zu ignorieren gibt, umso gefährlicher sind sie.

Es fällt den meisten Menschen leicht, sich nach geläufiger Moral "gut" zu verhalten, aber wenn man seine Werte auch dort konsequent anwendet, wo die Gesellschaft noch blind ist (oder tut), dann ist das keine Selbstverständlichkeit mehr: Verletzt du diese Werte, wirst du nicht sanktioniert, verfolgst du sie konsequent, eckst du an. Das widerspricht unserem Verständnis davon, dass "gutes" Verhalten belohnt und "schlechtes" bestraft werden sollte.

Ich habe nicht umsonst "gut" und "schlecht" in Anführungszeichen gesetzt. Selbst, wenn es eine objektive Moral geben sollte, haben wir dann immerhin noch das Problem, diese zu erkennen. Deswegen baue ich auf nichts weiter auf, als die Werte, die angeblich bereits etabliert sind:

Darf man ohne vernünftigen Grund Schmerzen und Verletzungen zufügen (lassen)?
Darf man ohne vernünftigen Grund die Freiheit derart beschneiden, dass das Objekt des Handelns selbst grundlegende Bedürfnisse nicht mehr ausleben kann?
Darf man ohne vernünftigen Grund eine Tötung in Auftrag geben, deren "sachgemäße" Ausführung regelmäßig versagt?
Darf man dies im Schnitt über tausend mal in seinem Leben tun (Wasserbewohner nicht inbegriffen)?
Darf man ohne vernünftigen Grund die Umwelt so stark belasten, dass künftige Generationen den Preis zu zahlen haben?
Darf man Menschen hungern lassen, während man sein "Steak" von den Feldern dieser Welt füttern lässt?

Ist Geschmack und Gewohnheit ein vernünftiger Grund?

Der Grund, warum eine solche Konfrontation unbeliebt ist, ist nicht der, dass sich der Konfrontierende besser fühlt: Ganz im Gegenteil fühlt man sich nach einem Schuldeingeständnis schließlich schlechter!
Der Grund, warum die obigen Fragen vermutlich anstößig wirken ist, weil der Leser die Antwort kennt. Die wenigen, die überzeugt "Ja" antworten würden, sind doch schließlich fein raus. Sie werden doch aktuell von der Gesellschaft sogar belohnt: All die sozialen Rituale, die sich um den Fleischverzehr ranken, die Assoziationen mit Wohlstand und Männlichkeit, das Ansehen, das der Fleisch servierende Gastgeber genießt...
Anstößig sind die Fragen nur für den, der die Fragen mit "nein" beantwortet, aber das Nein nicht in sein tägliches Handeln integriert.

Ich selbst habe nun über 28 Jahre diese Privilegien der Omnivoren (Fleischesser, bzw. "Mischköstler") genossen. Ich habe den Veganismus für radikal gehalten und habe mich dann darauf ausgeruht, dass ich meine Ansprüche an mich selbst halt "eh nie" erfüllen kann.

Und in diesem Punkt habe ich mich mächtig geirrt!
Veganismus schließt nur eine Hand voll Zutaten aus. Zutaten, die zwar beinahe allgegenwärtig sind, weswegen man durchaus umlernen muss, aber die insgesamt nur einen sehr kleinen Teil unseres Nahrungsspektrums ausmachen. Tatsächlich stehen die Chancen nicht schlecht, dass ich jetzt endlich die Vielfalt pflanzlicher Nahrungsmittel begreifen werde, da ich genau die nun zum Protagonisten auf meinem Teller mache!
Wie man diese schwindelerregende Masse an pflanzlichen Produkten als "Beilagen" zusammen fassen kann, während wir für die immer gleichen Fleischsorten nicht aufhören können zu differenzieren, wirkt beinahe schon symptomatisch. (Laut Wikipedia sind in Deutschland über 1.500 Wurststorten bekannt!) Ist das nicht irgendwie, als würde man einen Regenbogen einfach "bunt" nennen, aber hätte tausende Worte für Grauabstufungen?

Ich habe es jedenfalls probiert. Seit drei Wochen lebe ich "zunehmend veganer". Und es fällt mir nicht schwer, weil ich die oben genannten Fragen endlich mit meiner Nahrung verknüpfen und somit das "Nein" in mein Handeln hinein tragen konnte.
Es geht. Und es fühlt sich kein bisschen radikal an.


Buchtipp: "Tiere essen" von Jonathan Safran Foer

Mittwoch, 14. November 2012

Der erste Eintrag

Ich bin ein Gutmensch. Ich muss es wohl sein, da ich denke, dass wir nicht nur im öffentlichen Leben sondern auch privat eine Verantwortung dafür haben, wie wir unsere Gesellschaft durch Sprache, Witze, Höflichkeit bzw. Unhöflichkeit, Rücksicht bzw. Rücksichtlosigkeit, Toleranz und Intoleranz mitgestalten.

Ich bin nicht für Verbote. Freiheit ist ein wertvolles Gut. Aber ich nehme mich selbst zurück, wenn ich meine, das Klima könnte für eine Minderheit kippen, sollte niemand reflektiert einlenken. Manchmal kommuniziere ich diese Nachdenklichkeit auch nach Außen. Ich fordere nichts, ich stelle mich über niemanden. Aber ich kritisiere. Konstruktiv, wie ich hoffe. Selbst damit kann man Leute provozieren, auch wenn keine Aggression vermittelt wird. Der Grund liegt vielleicht einfach darin, dass sich im Kopf des Empfängers einer moralischen Botschaft durchaus eine Forderung manifestiert, nämlich eine hypothetische, die man an sich selbst stellen müsste, sollte man die Werte des Gegenübers annehmen (oder einsehen, dass diese eigentlich bereits zu den eigenen Werten zählen). Natürlich kann ein Widerstand gegen meine Position auch einfach daher rühren, dass ich falsch liege. Eben weil ich aber Freiheit so schätze, würde ich in den allermeisten Fällen ohnehin auf absolute Freiwilligkeit setzen. Ich bin, kurz gesagt, für Höflichkeit.

Höflichkeit ist ein Wort, das etwas altbacken und spießig klingt. Es ist aber eigentlich das, was unsere Gesellschaft am laufen hält, denn ich rede hier nicht von Etikette.
Es gibt kein Verbot zu rempeln, kein Gesetz das uns davor schützt, dass im Kino laut geredet wird oder ein Bußgeld für extremen Körpergeruch. Und auch, wenn uns täglich Gegenbeispiele auffallen, nehmen die meisten Menschen durchaus aufeinander Rücksicht: Sie achten in der Fußgängerzone aufeinander, werden zum Hauptfilm ruhig und waschen sich regelmäßig.
Das ist Höflichkeit und Höflichkeit ist der Freiheit auch nicht etwa entgegen gesetzt, denn Höflichkeit verhindert durch eben diese Freiwilligkeit gerade, dass Verbote überhaupt erst notwendig werden! Sie regelt unser Miteinander auf eine reziproke Weise. Man muss sich nicht sympathisch finden, aber man achtet den Anderen als gleichwertige Person.

Damit habe ich also schon zwei unsexy Begriffe im ersten Beitrag verwendet. Ich könnte noch eins nennen: Political Correctness. Obwohl oder gerade weil ich die Verwendung der Wörter "Gutmensch" und "Political Correctness" nicht ausstehen kann, werde ich sie auf mich anwenden, damit gleich klar ist: Beleidigen kann man mich mit diesen Begriffen nicht.

Ich bin selten wirklich empört. Ich habe vielleicht mehr Verständnis für fremde Standpunkte als es einer gefestigten Persönlichkeit gut tut. Trotzdem stehe ich leidenschaftlich dafür ein, dass man sein Verhalten gegenüber diskriminierten Minderheiten reflektiert - auch, wenn es sich beispielsweise um Witze handelt.
Ich bin nicht humorlos. Das ist die Gruppendynamik von Feindbildern aber auch nicht. "Wann spiele ich einem Trend der Diskriminierung in die Hände?" ist die Frage, die ich mir manchmal stelle und die sich meines Erachtens gerne mehr Menschen stellen dürfen. Die Antennen sind natürlich trotzdem unterschiedlich kalibriert. Manchmal wird meine vielleicht etwas übersensibel sein - ein andermal aber vielleicht auch zu unempfindlich. Menschen sind nicht objektiv und ich bin ein Mensch. Und dennoch kann uns Reflektieren gesamtgesellschaftlich gut tun - so verzerrt die Reflexionen auch sein mögen. Intersubjektiv können wir auf diesem Weg vielleicht so  manchem Trend, der darauf abzielt, Menschen aus unserer Mitte auszugrenzen, widerstehen.

Das war also mein erster Beitrag. Höflich, politisch korrekt. Pfui. Und humorlos war er zugegebener Maßen auch. Aber dieser Grundsatz gehört dennoch an den Anfang: Ich bin für Toleranzmaximierung - und das bedeutet auch Intoleranz der Intoleranz und dass ich mich nicht nur als Produkt de Gesellschaft, sondern auch als Mitschöpfer der Gesellschaft verstehe.