Montag, 16. Juni 2014

Altern

Ich werde 30.

Nach Maikes Artikel zum Altern auf kleinderdrei wollte ich gleich aus gegebenem, oben stehenden Anlass einen Kommentar hinterlassen, habe es mir dann aber doch anders überlegt, da das Thema tatsächlich doch ein sehr großes ist.

In meiner Familie herrscht ein Spagat der Generationen: Zwischen mir und meinem älteren Bruder liegen 15 Jahre, meine Mutter war mitte 30 als sie mich bekommen hatte - mein Vater war da sogar schon mitte 40. Meine Eltern wiederum sind selbst unter den jüngsten ihrer Familien, weswegen ich aus dem Familiären eigentlich nur die Situation kenne, Küken zu sein. Ich bin groß geworden mit Erwachsenen, die anstelle einer Midlife Crisis ein aktives Leben geführt haben, die Profession gewechselt und für sie bedeutungsvolle neue Tätigkeiten gefunden haben. Entsprechend wenig Angst habe ich vor dem Altern als Zuwachs an erlebter Lebenszeit. Vielleicht aber umso mehr vor Gebrechlichkeit und Demenz, immerhin war ich noch nicht fertig mit der Schule, als meine Eltern damit begannen, über Pflege oder die Finanzierung der Beerdigungen zu sprechen. Nicht zu vergessen, dass meine (also die einzige verbliebene) Oma Monate nach einem schweren, den ganzen Körper lähmenden Schlaganfall verstarb, als ich gerade mal neun war - eine Oma, die ich immer nur als weißhaarige Frau kannte, die aber ebenfalls bis zum Schluss eine aktive, lebensfrohe Person war.
Somit habe ich das Glück, genügend Vorbilder fürs Altern in meiner direkten Umgebung zu haben, so dass mich das Nullen diesen Monat eigentlich ziemlich kalt lässt.

Natürlich: Ich hätte beruflich schon weiter sein können und wenn jüngere Menschen bereits deutlich mehr erreicht haben als ich, fühle ich mich manchmal insgeheim doch etwas alt. Dann aber fällt mir ein, wie viel Zeit ich (vermutlich) noch habe, um Gutes zu leisten. Erfolg ist kein Rennen, sondern eine höchst individuelle Sache. Der Wert von Erfolg ist nicht negativ korreliert mit dem Alter der Person. Das mag am Arbeitsmarkt vorbei argumentiert sein - und das Vorurteil, nur bezahlte Arbeit sei wertvolle Arbeit steckt ja leider tief - aber der Arbeitsmarkt ist eben nicht alles, Gehalt ist kein Maß für Produktivität und ich bin sogar schwer davon überzeugt, dass in Zeiten, in denen tatsächlich notwendige Berufe auf dem Arbeitsmarkt immer weniger repräsentiert sind, die gesellschaftlich wertvollere Arbeit oft, wenn nicht sogar vorwiegend unbezahlt gemacht wird.
Ob ich mich am Ende meines Lebens also ausgerechnet mit meiner getätigten Lohnarbeit identifizieren werde oder mit Leidenschaften, die ich anderweitig ausgelebt habe, wird sich zeigen. Es ist nunmalhalt so, dass ich sehr mit mir hadere, an mir zweifle und vielleicht erst jetzt, mit (quasi) 30 den Mut finde, mich sichtbar zu machen und mich "auszutesten". Ich bin erst in den letzten Jahren zu einer bekennenden Feministin und Quasi-Veganerin geworden, habe im letzten Jahr erst so einiges darüber gelernt, wie ich zur Liebe stehe und wie dort meine Ideale verortet sind.

Eitelkeit ist für mich ein ambivalentes Thema: Ich sehe es relativ gelassen, dass meine Haut altert, andererseits habe ich aber auch erst seit zwei Jahren wieder ein gesellschaftlich "akzeptables" Gewicht und fühle mich daher - nach gängigen Schönheitsidealen - "hübscher" als viele Jahre zuvor - ein Umstand, der an sich schon diskutabel ist und mehr über unsere Gesellschaft als über mich selbst verrät.

Ich denke, letztendlich ist das Fazit meines Lebens folgendes: Erwachsen Werden existiert nicht. Man kann ein ganzes Leben damit verbringen, sich mit Steuererklärungen "anzufreunden".  Wenn man außerdem Zwischenziele wie die, eine Famile zu gründen und "sesshaft" zu werden, verwirft, bleibt wenig übrig, was das junge Leben vom "alten" unterscheidet. Insbesondere, wenn man in einem Feld Fuß zu fassen versucht, in dem unbefristete Stellen rar und ein Nomadenleben die Regel ist.
Eine Weile lang hatte ich gehofft, ich könnte in jedem Tag eine neue Chance sehen - was leider, da man einen Rattenschwanz an Vorgeschichte mitrbingt, nur eine ausgesprochen begrenzte Wahrheit darstellt. Inzwischen sehe ich mich zunehmend als Produkt eines anhaltenden Prozesses. Und trotzdem: Es wäre schön, eines morgens aufwachen zu können und entscheiden zu können, wer man ist. Vielleicht weniger introvertiert, vielleicht selbstbewusster, vielleicht mit mehr Motivation und mehr Leidenschaft. Vielleicht mit dem Wissen, wer man ist, und wohin man damit will. "Früher" hat man vielleicht darauf spekuliert, dass dieses Wissen Teil des erwachsen Werdens ist und dass man dann "endlich" seinen Weg gehen wird. Den einzig wahren, der einen zu seiner "Bestimmung" führt. Es ist trivial und gleichzeitig ernüchternd festzustellen, dass es ein fortlaufender Prozess ist, sich selbst zu finden, sich zu definieren, Ziele zu finden, Ziele zu erreichen und dabei vielleicht auch noch ein Gefühl der Befriedigung zu erlangen.

Der Umstand, dass wir einmalig sind, schützt uns nicht davor, dass wir ganz normale und verbreitete Krisen durchleben, die sich damit umschreiben lassen, dass wir einer unter über 7 Milliarden Menschen sind - und dabei altern.

2 Kommentare:

  1. "Wenn man außerdem Zwischenziele wie die, eine Famile zu gründen und "sesshaft" zu werden, verwirft, bleibt wenig übrig, was das junge Leben vom "alten" unterscheidet. "

    Da irrst du dich - na klar, bist ja noch jung! :-)

    Mich hat Maike auch inspiriert, wenn du magst

    Der Schleier der Hormone – Abenteuer Altern

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  2. Hallo Claudia,

    Danke für deinen Kommentar! Ich habe mir deinen wundervollen Blogeintrag nun durchgelesen und verstehe nun, was du mit deinem Einwand meinst.

    Nun, was spannende Veränderungen im Leben betrifft, bin ich jedenfalls offen und bin gespannt, wie sich der Wegfall meines "Hormonschleiers" dann in einigen Järchen auswirken wird! :)

    Danke für die Einsichten!

    Frauke

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