Mittwoch, 28. November 2012

Ein Monat Veganköstler - eine Bilanz.

Ein Fazit werde ich direkt an den Anfang stellen: Vier Wochen reichen nicht aus, um den Veganismus völlig zu begreifen. Einen Teil meiner ambivalenten Gefühle bin ich z.B. noch immer nicht los geworden. Das liegt daran, dass ich von Natur aus kein radikaler Mensch bin und mich entsprechend auch nicht als radikal begreifen möchte. Hier hilft immer wieder, die subjektive Radikalität in Relation zu einem Bezugspunkt zu setzen. Nach welchem Maß bin ich denn "extrem"? Nach dem Maß einer Gesellschaft, für die der Konsum tierlicher Produkte derart normal geworden ist, dass Massentierhaltung möglich und nötig geworden ist. Nicht ich sollte extrem sein - Schlachtungen im 2-Sekunden-Takt sollten extrem sein! Nicht der Verzicht auf Eier sollte extrem sein, die Haltungsbedingungen von Legehennen sollte extrem sein! Oder eine Antibiotikabelastung von 98% in Masthühnern. Oder... Ach, informiert euch doch selbst! ;-)
Ich bin radikal gemessen an einer untragbaren Normalität.
Hingegen fühlt sich mein Konsumverhalten subjektiv gar nicht so extrem an: Auf meinem Teller landet eine leckere Vielfalt. "Vegan" klingt viel spezieller, als es ist. Letztendlich hat man doch etwas konkretes, essbares und zufrieden stellendes zu essen. Man muss vielleicht auch bedenken, dass Milch in vielen Teilen der Erde nicht auf den Speiseplan gehört und dass eine vegetarische Ernährung dort schon automatisch viele vegane Speisen bedingt. Veganismus ist also nicht viel anders als Vegetarismus in Milch-freien Landesküchen.
Milch, Eier, Fleisch sind in erster Linie Zutaten, mit denen man bestimmte Zubereitungsarten realisieren kann. Deswegen sind Ersatzprodukte auch so beliebt. Man will keine Sahne mehr, aber man will cremige Saucen oder fluffige Torten. Man will keine Eier mehr, aber ein Bindemittel, etwas zum Aufschlagen oder etwas zum anbraten. Man möchte kein Fleisch mehr, aber etwas, das sich in der Pfanne anders verhält als Gemüse.
Natürlich schmeckt es anders (manchmal aber auch täuschend ähnlich). Deswegen muss man schon bereit sein, mit Gewohnheiten zu brechen, immerhin wird manches nie wieder so wie aus Kindertagen schmecken - und das hat schon eine starke emotionale Komponente.
Was mich überrascht ist, dass ich Käse bisher wenig vermisse. Käse ist vermutlich das am meisten vermisste Produkt unter Veganern - zumindest sind Käse-Alternativen ein großes Thema in Blogs. Da bei der Verdauung von Milchprodukten Casomorphine entstehen, wird sogar von mancher Seite eine echte Abhängigkeit von Käse diskutiert. (Anmerkung: Die Skepsis der Bloggerin ist auch nach diesem Paper zu urteilen, angebracht.) Ich nehme an, es sind in erster Linie die Schmelzeigenschaften, die Käse beinahe unersetzbar machen.

Radikal bin ich also nur in dem Sinne, dass ich eine "extreme Normalität" ablehne. Dadurch bin ich als soziales Wesen radikal. Man stößt sich an mir. Und ich bin nicht gerne die Person, an der man sich stößt.

Eine weitere Quelle ambivalenter Gefühle sind auch noch immer die ethischen Grundlagen. Es ist nicht schwer, gegen Massentierhaltung zu sein und ein konsequenter Boykott fühlt sich für mich auch uneingeschränkt gut an. Es fühlt sich sogar so gut an, dass kaum Neid aufkommt, wenn ich unvegane Speisen auf anderen Tellern sehe. Ich weiß aber noch nicht genau, wie ich zu Tierrechten stehe, bzw. dem Verständnis von Rechten im Allgemeinen, welches dahinter steht: Sind damit unveräußerliche Rechte gemeint, wie die Menschenrechte? Das würde ich für bedenklich halten. Gut, sagen wir, Tierrechte regeln nur das Verhalten von Menschen gegenüber Tieren, so wie Menschenrechte in Einzelfällen - bei Säuglingen oder geistig schwer behinderten Menschen etwa - ebenfalls nur in eine Richtung funktionieren können. Das kann ich mir in unserer Gesellschaft sogar vorstellen. Aber in manchen Ländern fungiert die kleine Herde Nutztiere als Nahrungsspeicher und ermöglicht außerdem, aus unverdaulicher Vegetation nahrhaftes Fleisch werden zu lassen. Zu keinem Zeitpunkt wäre das Töten eines solchen Nutztieres (oder schon dessen Haltung) ein Akt der "Notwehr", lebensnotwendig kann es aber trotzdem sein. Und natürlich bin ich so weit "Speziesist", dass ich einem Menschen nicht die Lebensgrundlage entziehen würde.
Veräußerliche Tierrechte hingegen sind mir zu verwässert um damit etwas anfangen zu können. Warum überhaupt Tieren Rechte zusprechen anstatt zwischen Menschen festzulegen, dass die Produktion von Leid unethisch ist? Egal wer leidet. Basta.
Viele Tierrechtler scheinen mir genau das zu meinen und mögen diese Definitions-Krampferei von mir lächerlich finden. Mir ist aber durchaus wichtig, dass Rechte konsistent begründet werden können, damit ihr Anspruch absolut bleiben kann und keinem Werterelativismus Tür und Tor geöffnet wird.
Zudem weiß ich nicht, wie ich mich bezüglich Tierversuchen positionieren möchte. Dass Tierversuche unnötig sind ist, so viel weiß ich, einfach nicht wahr, so sehr ich Alternativen auch unterstütze und so fehlerbehaftet sie auch zum Teil sein mögen. Ironischer Weise kommen viele Informationen, die Tierrechten zuspielen, aus Tierversuchen, z.B. aus der Neurobiologie, die in den letzten Jahrzehnten mit dafür verantwortlich war,dass  die enormen kognitiven Leistungen vieler Tiere endlich anerkannt und gewürdigt werden.
Tierversuche sind auch ein plakatives Beispiel für einen weiteren Unterschied zwischen Ethik, die zwischenmenschliches Verhalten regelt und Tierethik: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ (Kant)
Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Einen gesunden Menschen zu töten, um seine Organe zur Rettung von fünf Kranken einzusetzen, ist unethisch. Das ist es deswegen, weil zwischenmenschliche Ethik nun einmal das Miteinander regelt und wir haben ein starkes Interesse daran, in einer Gesellschaft zu leben, in der wir kein willkürliches Opfer für eben diese werden können.
Weiten wir Ethik auf Geschöpfe aus, die nicht Teil der Gesellschaft sind, gilt diese Regel nicht mehr uneingeschränkt: Das Töten von eingeschleppten Ratten zum Schutz ganzer Arten (zum Beispiel der Galapagos-Riesenschildkröte) mag, wenn man Arterhaltung konsequent unterstützt, geboten erscheinen und wenn medizinische Forschung an Tieren tatsächlich eine entsprechend große Beseitigung von Leid ermöglicht (an Mensch wie an Haus-/Nutztier), mag auch das ethisch begründbar sein.

An solchen Knackpunkten fällt es mir schwer, mich eindeutig zu positionieren. Bisher tendiere ich dazu, Tierethik pragmatischer zu sehen als zwischenmenschliche Ethik. Menschenrechte sind hingegen unveräußerlich. Das ist womöglich der viel beschworene Unterschied zwischen ethischen Subjekten und ethischen Objekten.

Diesen kritischen Gedanken zum Trotz wird es beim "veganen Kösteln" nicht bleiben: Leder wird nicht mehr nachgekauft, ebenso - wenn möglich - unvegane Kosmetik- und Hygieneprodukte.
Wohin mich das wohl führen wird? Zum speziesistischen Veganismus? Oder vielleicht doch zum Vegetarismus ohne Ovo-Lacto-Zusatz (dieser verdammte Bienenwachs aber auch!)? Muss ich mir überhaupt ein Label verdienen, wenn ich ja doch nur vor mir selbst Rechenschaft ablegen muss?
Es wird manchmal gesagt, Veganismus sei die Antwort auf viele Probleme (Klima, globales Verteilungsproblem, Massentierhaltung...). Das stimmt m.E. so nicht. Wenn ein Schwamm nachhaltig geerntet wird, ist das m.E. in keinster Weise schlimmer als Blumen pflücken, aber es ist unvegan.
Daher mein zweites Fazit: Label sind nicht wichtig, Werte sind wichtig. Konsequenzen sind wichtig.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen