Dienstag, 27. November 2012

Feminismus

Es ist schwierig einen Anfang für diesen Blogeintrag zu finden, zumal er eine Einleitung zu einem großen Thema darstellen soll.

Als heterosexuelle cis-Frau, die lange Zeit die freundschaftliche Gunst von Männern suchte um sich selbst zu beweisen, "außerhalb" der Rollenklischees zu stehen und die dadurch versuchte, sich selbst vom "Femininen" abzugrenzen, ist ein Bekenntnis zum Feminismus sicherlich auch gleichzeitig ein Eingeständnis. Ein Eingeständnis, Teil des Problems (gewesen) zu sein.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen misogyn werden. Und das sollte uns zu denken geben. Wie kommt es, dass sich vermeintlich gleichberechtigte Frauen so verhalten als ob sie einem niederen sozialen Stand durch Mimikry eines höheren zu entkommen versuchten?

Die Wahrheit ist, dass "Weiblichkeit" (sowohl eine weibliche Physiologie als auch das gesellschaftliche Konstrukt) ein niederer sozialer Stand ist. "Du Mädchen!" ist halt noch immer eine Abwertung, die unter Männern ausgesprochen wird - teilweise aber auch unter Frauen - und während Frauen Ansehen durch "männliches" Auftreten erlangen können, können Männer durch "weibliche" Verhaltensweisen im Ansehen nur sinken. In diesem Sinne wirkt "Weiblichkeit" wie ein restringierter Sprachgebrauch: Es wirkt als Signal, um jemanden in eine Schublade zu stecken: Nicht "alpha".

Aber was ist dieses "Weibliche" überhaupt?
Ich weiß es nicht und bin bereit jedem, der meint, "Männer und Frauen seien nun einmal verschieden" über den Mund zu fahren. Und zwar aus folgendem Grund: Wir leben in einer Gesellschaft, die erst kürzlich für sich entdeckt hat, dass der nicht-männliche Teil der Bevölkerung vielleicht doch wie normale Menschen behandelt werden sollte und die entsprechend historisch, philosophisch, politisch, kulturell (usw.) vorwiegend von Männern geprägt wurde. "Männer und Frauen sind nun einmal verschieden" bedeutet daher "Frauen sind anders", denn das "Männliche" bildet schließlich über unsere gesellschaftlichen Wurzeln noch immer den Großteil unseres soziologischen Hintergrunds.
Sind Männer und Frauen verschieden? Ja, offensichtlich. Aber nicht "nun einmal", also nicht als Denk-Stopp. Mann/Frau ist schlichtweg kein einfacher Dualismus, sondern wahrscheinlich ein essenzialistisches Konstrukt zweier Idealtypen, die in einem mehrdimensionalen Koordinatensystem angesiedelt sind. Ich mag einige Überschneidungen mit dem Konstrukt "Frau" haben, aber nirgends auf dieser Welt läuft sie wahrhaftig rum - die Essenz des Weiblichen.

Ich weiß, was mir als weiblich verkauft wird: Ein Punkt, der, ganz egal, wo ich stehe, niemals der ist, an dem ich in mir selbst ruhen kann. Frauen müssen sich beduften, anmalen, vorteilhaft kleiden, ihre Haare bändigen. Sie werden (direkt oder indirekt) dazu angehalten, wenig Raum einzunehmen, nicht mehr zu nehmen, als sie geben und auf die Gefühle anderer stärker Rücksicht zu nehmen als auf ihre eigenen.
Als Frau kannst du an keinem Punkt verweilen und einfach Frau sein. Denn der Punkt, den man dir als Weiblichkeit verkauft, ist immer neben dir, niemals dort, wo du dich befindest. Weiblichkeit ist eine Anstrengung, ein Aufwand, eine Tätigkeit. Das implizierte Versprechen ist, trotz deiner weiblichen Physiologie akzeptiert zu werden, wenn du beständige Anstrengungen signalisierst.

In einer Internetdiskussion war ich erstaunt darüber, dass ich mit der Frage, wie zufrieden die User des Forums mit ihrem Geschlecht/Gender seien, von Männern fast nur irritierte Reaktionen erntete. Frauen wussten mit der Frage hingegen etwas anzufangen. Es hat lange gedauert, bis ich diesen Umstand richtig deuten konnte: Männlichkeit ist die Normalität. Frauen haben sich zwischen Normalität und Weiblichkeit zu platzieren und spüren diese Gratwanderung mit aller Deutlichkeit. Das ist auch der Grund, warum Gender-Forschung die meisten Männer nicht zu interessieren scheint - wenn sie sie nicht gerade völlig ablehnen.

Keinen Ruhepunkt zu haben, an dem man einfach "Frau" oder besser gesagt "Mensch mit weiblich verstandenem Erscheinungsbild" sein darf, das Streben hin zum "Neutralen" - dem "Männlichen" - all das scheint mir deutlich zu zeigen, warum Feminismus auch heute noch wichtig ist: Nachdem Frauen formale Gleichberechtigung erfahren haben, sind sie noch immer "die Anderen", die nun in sämtliche Bereiche der Gesellschaft "vordringen" (das Wort wird in dem Zusammenhang ja gern in den Medien verwendet). Und wie die "Anderen" werden sie auch behandelt. Es sind diffusere Probleme als es die diskriminierenden Gesetze vergangener Tage waren. Es geht um die Konservierung männlicher Interessen als die Norm, um die Abwertung der Weiblichkeit, um Rape Culture, Male Gaze, den Bechdel Test, um Lego und Ü-Eier für Mädchen und andere Brandherde, die Symptom und Ursache zugleich sind.
Gleichzeitig sind diese Phänomene Hintergrund unserer eigenen Entwicklung, so dass wir sie erst einmal nicht unbedingt als Baustellen wahrnehmen, vielleicht sogar als natürlich verstehen. Aber nein, ich will nicht das "Andere" in den Augen eines Mannes sein und ich will auf die Frage nach meiner Geschlechtsidentität auch mit unvoreingenommener Irritation reagieren können. Ich bin doch einfach ich.... oder?

Aus all diesen Gründen verstehe ich mich als Feministin. Und daher möchte ich mich bei meinen Geschlechtsgenossinnen entschuldigen: Es tut mir leid, dass ich voreingenommen war gegenüber "Tussis", also Frauen und Mädchen, die ihre Lösung des Konflikts "Norm/Weiblichkeit" anders verortet haben als ich. Es tut mir leid, dass ich glaubte, mich als "Kumpeltyp" von Männern profilieren zu können. Ich muss nicht anders als die anderen Frauen sein. Es reicht, Frau zu sein.


Edit: Formulierungen verändert, um Transfrauen nicht auszuschließen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen